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Sicher, sauber, verfügbar

Mit Biogas und Biomethan rückt die EnergyDecentral 2022 zwei erneuerbare Alleskönner in den Mittelpunkt

Wenn nach 20 Jahren die Vergütung nach Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ausläuft, überlegt der eine oder andere Landwirt: Soll ich weiter Strom produzieren oder die Biogasanlagen auf die Biomethanproduktion umstellen? Marcus Vagt von der DLG Service GmbH sieht dafür ein erhebliches Potenzial. „Aktuell erzeugen die deutschen Biogasanlagen pro Jahr rund 100 Terawattstunden Gas, von denen etwa zehn Prozent zu Biomethan aufbereitet und ins Gasnetz eingespeist werden“, so der Projektleiter der EnergyDecentral. Ein weiterer Vorteil: „Es existiert bereits eine gut ausgebaute Infrastruktur, denn die vorhandenen Erdgasleitungen und Speicher können sofort und ohne zusätzliche Kosten für Biomethan genutzt werden“, erklärt der Agrarökologe. Durch einen schnellen Ausbau von Biogasanlagen könne Europas Abhängigkeit von russischem Gas stark verringert werden.

Multitalent unter den Erneuerbaren Energien

Hintergrund: Biomethan lässt sich je nach Bedarf vielseitig im Strom-, Wärme- und Kraftstoffmarkt einsetzen. Langfristig sieht Vagt in Bio-CNG (Compressed Natural Gas) und Bio-LNG (Liquified Natural Gas) deshalb eine ernstzunehmende Alternative zu fossilen Energieträgern. Aus Biomasse gewonnenes Rohbiogas enthält neben Methan bis zu 40 Prozent Kohlendioxid. Deshalb muss es zuerst aufbereitet werden, bevor es ins Netz eingespeist werden kann. Die Aussteller der EnergyDecentral setzen bei der Aufbereitung auf hocheffiziente Technologien und ausgeklügelte Wärmerückgewinnungssysteme, die schlüsselfertig vor Ort installiert werden. Neben erprobten Membrantechnologien, der Aminwäsche oder Druckwechsel-Adsorptionsverfahren ergeben optimierte Komponenten wie Biogaskühler, Gasverdichter, Wärmetauscher und Aktivkohlefilter in Kombination, sehr wirtschaftliche Anlagen, die dem Plug-and-Play-Prinzip folgend den Aufwand auf der Baustelle auf ein Minimum beschränken. Nach dem Aufbereitungsprozess kann das entstandene Biomethan in das Gasnetz eingespeist, oder weiter komprimiert beziehungsweise verflüssigt werden, um fossilen Kraftstoff zu ersetzen.

Doch die EnergyDecentral bietet noch mehr: Den Ausblick auf innovative Power-to-Gas-Technologien, mit denen Betreiber von Biogasanlagen die Möglichkeit haben, sich an die neuen Absatzbedingungen auf dem Energiemarkt anzupassen. Im Zentrum stehen dabei Verfahren, die das Kohlendioxid direkt in Methan umwandeln – womit auch kleinere Biogas-Anlagen als CO2-Quelle in Frage kommen, ohne dass eine komplizierte Gasaufbereitung integriert werden muss.

Aussichtsreiche Perspektiven durch Power-to-Gas-Konzepte

Power-to-Gas bedeutet die Umwandlung von Stromüberschüssen in einen speicherbaren, gasförmigen Energieträger. Dieser kann in Zeiten von wenig Wind und Sonne wieder verstromt, als Kraftstoff oder auch als chemischer Grundstoff genutzt werden. Typischerweise nutzen Power-to-Gas-Konzept die Biogas- oder Kläranlage lediglich als CO2-Quelle für die Methanisierung und sind auf große Biomethananlagen beschränkt. Einen anderen Ansatz nimmt Prof. Dr.-Ing. Jürgen Karl an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) im Rahmen des Projekts "FlexBiomethane" unter die Lupe.

Bei diesem Konzept wird dem Fermenter kontinuierlich Biogas entnommen. Der CO2-Anteil wird katalytisch in Methan gewandelt und zurück in den Fermenter gespeist, um so den Anteil des Methans im Gasspeichervolumen kontinuierlich zu erhöhen und die Prozesskette und Abwärmenutzung maßgeblich zu vereinfachen. Da auf die Netzeinspeisung verzichtet wird, reduzieren sich Aufwand und Kosten gegenüber etablierten Konzepten. Den rund 9.000 bundesdeutschen Bestandsanlagen bietet sich damit eine vielversprechende Option zur Flexibilisierung, denn das gesamte System ist als Nachrüstoption für Biogasanlagen konzipiert. „Der Clou besteht darin, das inerte Kohlendioxid im Gasspeicher durch den Energieträger Methan zu ersetzen. Wir verwenden dafür nicht nur grünen Wasserstoff, sondern auch grünes CO2 aus dem Biogas“, so Jürgen Karl. Bei Bedarf werde die so gespeicherte Energie einfach über das Blockheizkraftwerk rückverstromt.

Archaeen übernehmen die biologische Methanisierung

Den hierfür erforderlichen Methanisierungsreaktor steuern Jürgen Karl und sein Team bei. Er ist additiv mittels mit 3D-Druck gefertigt und erlaubt eine besonders effiziente Umsetzung des Biogases. „Wir entwickeln und betreiben im Rahmen des Projektes einen Heatpipe gekühlten Reaktor. Dieser soll die Umsetzung eines ersten Proof-of-Concepts zur katalytischen Direktmethanisierung von Biogas mit Direktdampferzeugung und Direktbeheizung des Fermenters vorbereiten“, erläutert er. Nach seiner experimentellen Charakterisierung wird der Reaktor nach Ingolstadt transportiert und dort am Institut für neue Energie-Systeme (InES) der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) an einen Fermenter gekoppelt. Vor Ort koordiniert Prof. Dr.-Ing. Markus Goldbrunner das Verbundprojekt und parallel dazu mit "Hy2Biomethane" ein weiteres Forschungsvorhaben. Bei diesem wird im Gegensatz zur katalytischen Umwandlung ein biologischer Methanisierungsreaktor untersucht. Das benötigte CO2 wird aus einer Druckwasserwäsche gewonnen, die das Biogas zu Biomethan aufbereitet.

Den hierfür entwickelten Rieselbettreaktor steuern ebenfalls die Energieverfahrenstechniker von der FAU um Jürgen Karl bei. Im Reaktor übernehmen spezialisierte Mikroorganismen, sogenannte Archaeen, die Umwandlung von Kohlendioxid und zugeführten Wasserstoff zu Methan. Das so gewonnene Methan lässt sich direkt in das Gasnetz einspeisen, oder zum Speicher der Biogasanlage zurückführen. „Die Erzeugung von Biomethan durch die intelligente Kombination von Biogasanlagen und Elektrolyse, sowie die Einspeisung von Biomethan in das Erdgasnetz bietet nicht nur für Biogasanlagen eine zukunftsorientierte Alternative“, so Markus Goldbrunner. Sie sei auch ein Schlüssel für die Sektorenkopplung, um „aktuell bestehende Probleme der Energiewende zu überwinden, wie das zeitliche Auseinanderlaufen von Stromerzeugung und -nachfrage.“

Mit Windkraft und Elektrolyse zu "grünem" Erdgas

Wie die Sektorenkopplung gelingen kann, wollen Forschende der Brandenburgische Technische Universität (BTU) und der Hochschule Flensburg am Standort Nordhackstedt, westlich von Flensburg, zeigen. In der Gemeinde betreibt der Landwirtschaftsbetrieb Nissen Biogas eine 900 Kilowatt-Biogasanlage, zwei Satelliten-Blockheizkraftwerke (je 400 Kilowatt), ein Nahwärmenetz sowie zwei Windkraftanlagen mit 0,6 beziehungsweise 1,5 Megawatt elektrischer Nennleistung. Ziel ist es, den Weiterbetrieb der beiden Windräder zu ermöglichen, deren Vergütungszeitraum abläuft. Konkret sieht das Konzept vor, dass die Windräder den Strom für einen Elektrolyseur liefern, der Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Die Biogasanlage wiederum liefert Rohbiogas, dessen CO2-Anteil in einem Reaktor mit dem Wasserstoff zu Methan reagiert. Auch hier erfolgt die Umsetzung durch eine biologische Methanisierung in einem patentierten Rieselbettverfahren, das an der BTU entwickelt wurde. Für die Kopplung mit der Biogasanlage spricht nicht nur die Verwendung von Rohbiogas als Input, sondern auch die Nährstoffversorgung der Mikroorganismen. Diese kann im Rieselbett über die flüssigen Gärreste der Biogasanlage erfolgen. Die ausgekoppelte Reaktionswärme steht für eine Nutzung zur Verfügung, zum Beispiel für die Fermenterheizung oder ein Nahwärmenetz.

Blaupause für die Sektorenkopplung

In ihrer Durchführungsstudie legten die Forscher eine entsprechende Anlagenkombination für den Standort technisch aus und errechneten in verschiedenen Szenarien, zu welchen Kosten das Methan erzeugt werden kann. Dabei erreichten sie eine stabile Bildungsrate von sieben Normkubikmeter CH4 pro Kubikmeter Reaktionsvolumen und Tag bei einer Methankonzentration im Produktgas von mehr als 95 Prozent. In Nordhackstedt wollen Landwirte das Konzept künftig praktisch erproben, die Errichtung eines Elektrolyseurs und eines Rieselbettreaktors sind geplant. So würde die weltweit erste kontinuierlich betriebene Pilotanlage dieser Art entstehen, die die biologische Methanisierung von Rohbiogas zu "grünem" Erdgas unter Praxisbedingungen demonstriert.

Der Strom soll zunächst von der älteren der beiden Windkraftanlagen bezogen werden, die vorgesehene Anschlussleistung des Elektrolyseurs liegt bei 500 Kilowatt elektrischer Nennleistung. Damit ist man in der Lage, einen Teilstrom des Biogases aus der Anlage zu methanisieren. Das bereitgestellte Methan kann vor Ort zu CNG (Compressed Natural Gas) komprimiert und zur Betankung von Fahrzeugen eingesetzt werden. Für einen CNG-Traktor mit einer Tankkapazität von 52 Kilogramm wären 2.200 Tankfüllungen pro Jahr gewonnen aus bisher ungenutztem Überschussstrom möglich.

Die Biogasbranche vor der Trendwende

Mit Blick auf die EnergyDecentral zeigt sich: Um den Bestand an Biogasanlagen weiterzuentwickeln und deren nachhaltige Potenziale zu erschließen, müssen sowohl eine wirtschaftliche Anschlussperspektive nach dem ersten Vergütungszeitraum geschaffen als auch die Umrüstung des auf eine flexible Fahrweise vorangetrieben werden. Egal ob es sich um Neubau- oder Repowering-Projekte handelt: Vom 15. bis 18. November 2022 bringt die Leitmesse für dezentrale Energieversorgung die Akteure aus Landwirtschaft, Industrie und kommunaler Energiepolitik in Hannover zusammen, um die unterschiedlichen Geschäftsmodelle zu diskutieren, die den Einstieg in die Wertschöpfung mit Biomethan und Power-to-Gas-Konzepten ermöglichen.